Inmitten einer der schwersten Bildungskrisen seit Gründung der Bundesrepublik erhebt sich eine kleine Stadt in Nordrhein-Westfalen wie ein Leuchtturm der Hoffnung und der Effizienz: Leichlingen. Während bundesweit mehr als 90 Gewerkschaften, Bildungsverbände, Eltern- und Schülervertretungen lauthals nach Investitionen und Reformen im Bildungswesen rufen, bleibt Leichlingen erstaunlich gelassen. Die Stadt braucht kein zusätzliches Förderprogramm für die deutsche Sprache in der Übergangszeit vom Kindergarten zur Grundschule – und ganz Deutschland schaut staunend zu.
In einem kürzlich abgelehnten Antrag hatte ein engagierter Bürger gefordert, dass ein solches Förderprogramm ab 2024 eingerichtet wird, um die Sprachkompetenz der Kinder zu stärken. Die Begründung? Die Sprachkompetenz sei von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Integration von Kindern, insbesondere in der Übergangszeit vom Kindergarten zur Grundschule. Es mangele an spezifischen Programmen und Maßnahmen, die den Kindern helfen, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu entwickeln und sich auf den Schulbesuch vorzubereiten. Doch Leichlingen braucht das alles nicht – sie haben bereits alles im Griff, sagen sie.
Die Realität in Leichlingen: Alles bestens?
Die Stadtverwaltung von Leichlingen führt eine beeindruckende Liste von Maßnahmen an, die sie angeblich bereits umsetzt:
- Sprachförderangebote im Vorschul- und Grundschulalter: Diese sollen durch das Kinderbildungsgesetz abgedeckt sein.
- PlusKITAs und zusätzliche Fördermittel: Zwei plusKITAs und eine weitere Einrichtung erhalten Landeszuschüsse für die Förderung von Kindern aus Familien mit erschwerten Startbedingungen.
- Brückenprojekt: Bis Ende 2023 wurden niederschwellige Betreuungsangebote für Kinder aus Familien mit Migrations- und Fluchterfahrung bereitgestellt.
- Information und Sprachstandserhebungen: Eltern werden über Fördermöglichkeiten informiert, und der Sprachstand der Kinder wird überprüft.
- Weiterführende Sprachförderung in der Grundschule: Lernförderung (Nachhilfe) über das Bildungs- und Teilhabepaket sowie Ferienkurse für neu zugewanderte Kinder sind verfügbar.
Ein Blick auf den Rest Deutschlands: Katastrophale Zustände
Während Leichlingen scheinbar problemlos auf zusätzliche Förderprogramme verzichten kann, sieht die Situation im Rest Deutschlands düster aus. Laut dem IQB-Bildungstrend 2021 haben erhebliche Defizite in den Deutschkenntnissen von Viertklässlern zu einem Rückgang der Kompetenzwerte geführt. Etwa 20-30% der Kinder in NRW benötigen laut einer Studie des Ministeriums für Schule und Bildung NRW aus dem Jahr 2020 eine intensive Sprachförderung vor der Einschulung.
Die nationale Bildungslandschaft zeichnet ein besorgniserregendes Bild: Kinder mit Migrationshintergrund haben häufiger Defizite in der deutschen Sprache. Etwa 25% dieser Kinder erreichen nicht die erwarteten Sprachkompetenzen. In der PISA-Studie der OECD wird deutlich, dass der Bildungserfolg nach wie vor stark von der sozialen Herkunft abhängt, was die soziale Ungleichheit weiter vertieft.
Hinzu kommt, dass jährlich knapp 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Schlechte Lernbedingungen führen zu schlechten Leistungen – Kinder lesen, schreiben und rechnen immer schlechter. Diese Bildungskrise raubt den jungen Menschen ihre Zukunftschancen und verbaut Lebenswege.
Ein Vorbild oder eine Illusion?
Leichlingen behauptet, dass ihre bestehenden Maßnahmen ausreichend sind, um die Sprachförderung der Kinder sicherzustellen. Doch der Rest Deutschlands schaut auf die desaströsen Zustände und fragt sich: Kann eine kleine Stadt wirklich alles richtig machen, während der Rest des Landes im Bildungschaos versinkt?
Die Forderungen nach einer „echten Bildungswende“, nach einem Sondervermögen Bildung und einer umfassenden Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte und Erzieher*innen sind laut. Deutschland braucht dringend spürbare Investitionen und Reformen, um der Bildungskrise zu begegnen.
Vielleicht sollte der Rest Deutschlands einen genaueren Blick auf Leichlingen werfen – oder sich fragen, ob hier nicht doch ein erhebliches Maß an Realitätsverweigerung vorliegt. Denn wenn Leichlingen wirklich keine zusätzlichen Förderprogramme braucht, warum dann nicht gleich die gesamte Bundesrepublik nach ihrem Modell umgestalten?
Leichlingen als leuchtendes Vorbild? Oder doch nur eine Illusion in einer Zeit, in der dringende Maßnahmen und echte Veränderungen benötigt werden? Die Bildungskrise ist real – und sie verlangt nach mehr als nur Selbstzufriedenheit und oberflächlichen Erfolgsberichten.